Hand-out sobre la presentación de Gary Hofmeier

April 2011 Neiva, Columbia Universität Bogotà

Prólogo de Prof. Luis Armando Benitez Perez.

Danke, lieber Luis, für Deine herzlichen Worte.
Meine Damen und Herren, liebe Studenten.

Als Prof. Benítez, mein Freund Luis Armando, mich bat, anlässlich unseres Besuches in Kolumbien vor Ihnen zu sprechen, fühlte ich mich sehr geehrt und habe mit Freude zugesagt.

Das Thema, über das ich sprechen möchte, ist ein sehr persönliches. Es veränderte mein Leben nachhaltig und zeigte mir, dass zu den wichtigsten Dingen des Lebens die Suche nach seinen eigenen Wurzeln gehört. Und dass jeden von uns Aufmerksamkeit, Respekt und Toleranz jedem Menschen gegenüber bei dieser Suche begleiten sollten. Wenn dann noch das Schicksal eine führende Rolle übernimmt und den Suchenden mit den richtigen Menschen zum richtigen Zeitpunkt zusammenführt, ist das ein großer Glücksumstand.

Meine Geschichte, die mich so sehr veränderte, begann mit einem traurigen Anlass, dem Tod meiner Mutter im Jahr 2001.  Lassen Sie mich aber zunächst zurückblicken auf meine Kindheit im Deutschland der 40er Jahre, der Zeit des 2. Weltkrieges.

Rückblick Weltkrieg 2
Deutschland ab Dezember 1943


Ich war 2 ½ Jahre, mein Bruder erst 3 Monate alt, als meine Mutter im Dezember 1943 die Vermisstenanzeige für ihren Mann, unseren Vater erhielt. Nach schweren Kämpfen in Russland, in der Nähe der Stadt Welikije Luki, wurde er vermisst. Das bedeutete: tot oder gefangen. Meinen Bruder hat mein Vater nie gesehen. Mit 32 Jahren war er somit eines von 24 Mio. Kriegsopfern in Russland

Für meine Mutter war die Ungewissheit über das Schicksal ihres Mannes entsetzlich. Sie wurde schwer gallenkrank. In dieser Zeit gab es Lebensmittel nur rationiert.

Wir haben oft gehungert, und meine Mutter ist mit uns zum Beerensammeln in den Wald gegangen; mit dem Bruder im Kinderwagen und mit mir an der Hand. Meine Mutter hat ihren Mann bis zum Schluss sehr vermisst. Wir Kinder nicht. Wir haben nicht mit ihm spielen und lachen können und kennen den Klang seiner Stimme nicht. Aber was man nicht kennt, vermisst man nicht. Außerdem teilten Millionen Gleichaltriger unser Schicksal als Kriegskinder, die ohne Vater aufwachsen mussten. Meine Mutter hat aus Kummer und Leid nicht viel über ihren Heinrich gesprochen. Ihr tiefes Gefühl für ihn führte in die Sprachlosigkeit. Wir haben auch nicht gefragt.

Mit den Jahren wurde alles etwas einfacher. Wir wuchsen auf, gingen ins Leben. Ich gestaltete mir mein Leben in Berlin. Wenn mich jemand nach meinem Vater gefragt hatte, war die Antwort: Ich weiß nur, dass er in Russland verschollen ist.30 Jahre nach Kriegsende erhielt meine Mutter die amtliche Mitteilung, dass unser Vater mit Sicherheit bei den Kämpfen um Welikije Luki gefallen ist.

Sie hatte sich zu dieser Zeit bereits den Bau eines kleinen Hauses vom Munde abgespart, weil ihr Mann nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft ein Zuhause haben sollte. Die amtliche Mitteilung hat sie vor uns verborgen. Sie wurde herzkrank. Den Kleiderschrank mit den Sachen unseres Vaters löste sie auf und vernichtete offensichtlich auch die Briefe ihres geliebten Mannes. Das war in unserer Gegend üblich. Kein Dritter sollte von den Vertraulichkeiten eines Paares erfahren.

Auf der Trauerfeier meiner Mutter im Jahr 2001 haben wir erfahren, dass mein Vater ca. 40 Feldpostbriefe mit Schilderungen von der Front  als Vermächtnis hinterlassen hat. Gerichtet waren diese an meine Tante Jette. Alle Briefe endeten mit der Bitte:
„Bitte nichts Sophie (Name meiner Mutter) davon sagen. Sie soll sich nicht um mich ängstigen“ An diese Bitte haben sich meine Tante und ihr Sohn bis zum Tod meiner Mutter strikt gehalten.

46 Jahre nach Kriegsende habe ich zum ersten Mal die Briefe meines Vaters in den Händen gehalten. Sie waren sorgfältig verpackt und für mich mehr wert als jeder Schatz.

Feldpostbriefe 1942 – 1943

Die Briefe waren in altdeutscher „Sütterlinschrift“ verfasst und im plattdeutschen Dialekt geschrieben. Meine Frau übernahm die Aufgabe der Übersetzung in lateinische Schrift, da sie durch ihre Großmutter des Lesens  dieser altdeutschen Schrift mächtig ist.

Für meine Frau war es ein unbeschreibliches Gefühl, nach so vielen Jahren als einer der ersten Menschen diese Briefe in den Händen zu halten. Sie saß viele Nächte über den Briefen, die aus Papiermangel eng beschrieben waren und teilweise direkt im Schützengraben entstanden sind und durch den emotionalen Stress direkt an der Front oft schwer leserlich waren. Die Arbeit war spannend und lohnte sich. Sie lernte 2 neue Menschen kennen: Meinen Vater und mich.

Ich begann zu begreifen, warum ich bin, wie ich bin. Die Briefe zeugten von einem Denken, das auch mir vertraut ist. Die Parallelitäten unserer Denkweisen ließen mich fast erschauern.
3 Briefe möchte ich besonders erwähnen. Im ersten schreibt er von der Ordensverleihung nach schweren Kämpfen für die Offiziere der Division und erwähnt lakonisch: Die breite Masse der Soldaten hat das Birkenkreuz bekommen. Das Birkenkreuz war ein Holzkreuz mit aufgehängtem Stahlhelm auf den Gräbern der gefallenen Soldaten.

Im 2. schreibt er von dem „vielen, vielen Menschenblut, das dort vergossen wurde und dass überall, wo er an der Front geht und steht, die jungen Soldaten sich an ihn hängen, als wenn er ihr Leben retten könne.“Zu diesem Zeitpunkt war er 32 Jahre alt, die neuen Soldaten erst 16 und 17. Die Lebenserwartung an der Front betrug 3 Monate, mein Vater hatte bereits 2 Jahre überlebt, davon 2x als letzter der gesamten Kompanie. Er hatte den Nimbus des Unverwundbaren.

Im letzten Brief schreibt er: „... wir liegen immer noch auf verlorenem Posten und bekommen Feuer von 3 Seiten. Es ist kalt und schneit, aber wir haben Filzstiefel bekommen“
In allen Briefen erkundigt er sich nach dem Alltag in der Heimat. In dem Grauen und Irrsinn an der Front war das Schreiben der Briefe für ihn das unzertrennbare Band zum normalen Leben in der Heimat.

Nachdem die Arbeit getan, die Briefe anhand der Daten und der Kriegsberichte chronologisiert waren, fühlte ich intuitiv, dass das noch nicht alles gewesen sein konnte. Ich verteilte Exemplare der Briefsammlung an Freunde, unter anderem auch an Prof. Rupert Scholz, einem ehemaligen Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland. Er riet mir, diese wichtigen Dokumente der Zeitgeschichte mit Hilfe eines mit ihm befreundeten, in Deutschland sehr bekannten Geschichtsjournalisten Volker Koop zu veröffentlichen. Die nun folgende Recherchearbeit mit Volker Koop  gehört für mich zu den prägenden Stationen meines Lebens.

Über den 2. Weltkrieg gibt es unendlich viel Literatur. Unser Buch sollte etwas Besonderes werden, und zwar eine Parallelschilderung des Soldaten aus privater Feldpost, den schön gefärbten Nachrichten der Hitler- Regierung und den Nachrichten der internationalen Presse aus dieser Zeit. Diese Form der Veröffentlichung gab es vorher noch nicht.

Ich führte unter anderem Interviews mit alten Verwandten, die meinen Vater gut gekannt und sehr geschätzt haben. Meine Absicht, ein Buch über ihn zu veröffentlichen, versetzte alle in Anteilnahme und Gesprächsbereitschaft.

Man muss dazu wissen, dass die Menschen aus der Provinz Westfalen, aus der ich stamme, als stur, verschlossen und sehr zurückhaltend gelten. Gefühlsregungen zeigt man nicht. Es gibt dort viele Menschen mit dem sechsten Sinn, die hellseherisch künftige Ereignisse vorhersagen können. Ich erfuhr, dass mein Vater diese Fähigkeit auch hatte. Er fuhr am 16.09.43 zurück nach Russland und wusste, dass es eine Reise ohne Rückkehr sein würde. Beim Abschied bat er seine Schwester Jette: „Bitte kümmere Dich um meine Frau und um meine beiden Jungs. Ich werde sie nie wiedersehen“. 

Nach 3 Jahren Arbeit war das Manuskript druckreif. Anfang 2004 wurde das Buch über das Schicksal des tapferen Soldaten Heinrich Hoffmeier auf der Leipziger Buchmesse veröffentlicht unter dem Titel:

„Ich habe keine Hoffnung mehr“
Soldatenbriefe aus Russland.

Das Werk stieß auf lebhaftes Interesse der Medien. Nach Beiträgen in Presse und Fernsehen gelangte mein Papa auch ins Internet. Durch die nachhaltige Beschäftigung mit dem Thema entstand die Idee und der Wunsch, auf Spurensuche zu gehen und die letzte Reise meines Vaters nachzuvollziehen.

Für meinen Bruder und mich organisierte ich eine Reise nach Smolensk. Am Bahnhof erwartete uns die Dolmetscherin und Journalistin Galina nebst Fahrer. Ich zeigte ihr das Buch und erklärte den Zweck unserer Reise. Als Galina dann sagte, dass sie aus Welikije Luki stamme, der Schicksalsstadt meines Vaters, war ich wie elektrisiert. Niemals hätte ich einen Kontakt nach W. Luki herstellen können. Zufall oder Fügung? Der Kreis begann sich zu schließen, und ich wusste, dass mit dem Besuch in Smolensk die Spurensuche noch längst nicht beendet sein würde.

Bei Smolensk besuchten wir in den Wäldern liegende Schlachtfelder mit Schützengräben und verbrannten Bäumen, die anklagend in den Himmel ragten. Hunderttausende Russen und Deutsche mussten hier sinnlos ihr Leben lassen.
Mein Bruder nahm eine Handvoll russischer Erde mit. Diese wollte er auf das Grab unserer Mutter streuen, als posthumen Gruß ihres Mannes Heinrich. Auf dem Flughafen Moskau wurde die Tüte mit russischer Erde bei der Kontrolle auffällig. Man verlangte ein Dokument mit der Erlaubnis zur Ausfuhr russischen Eigentums. Zur Erklärung zeigte ich das Buch mit dem Bild meines Vaters und sagte nur:“ Von Papa für Mama“ . Wir durften passieren.

Mit Galina hielt ich intensiven Kontakt. Mit ihrer Hilfe organisierten wir im Juni 2006 eine Reise nach Welikije Luki. Prof. Rupert Scholz, meine Frau und ich reisten in St. Petersburg ein. Von dort ging es gemeinsam mit Galina in das ca. 500 km entfernte Welikije Luki mit dem Auto. Der Ort liegt in Zentralrussland, war während des Krieges stark umkämpft und wurde völlig zerstört. Als erste deutsche Zivilisten nach dem 2. Weltkrieg erwarteten wir, mit Reserviertheit und Distanz empfangen zu werden.Wir wussten nicht, dass Galina einen offiziellen Empfang in der Schule für Sprachen organisiert hatte. In der Schule befanden sich an der Tafel Bilder des Buches mit Fotos meines Vaters, dem deutschen Soldaten Heinrich Hoffmeier. Auf den Tischen befanden sich Blumenbuketts in deutschen und russischen Nationalfarben. Die Teilnehmer waren Kriegsveteranen, Lehrerinnen, Journalisten und Bewohner der Stadt. Links von mir saß ein hochdekorierter russischer Offizier in meinem Alter mit seiner Frau. Oleg und Wera.Ich wurde gebeten, über die Entstehungsgeschichte des Buches und über die Suche nach meinem Vater zu berichten. Auch über das große Leid meiner Mutter, die noch nach Jahrzehnten auf die Rückkehr ihres Mannes hoffte, habe ich  berichtet. Galina hat übersetzt. Danach berichtete Oleg über seine 30-jährige Suche nach seinem Vater. Er hat das Grab in Estland gefunden.

Von der Begegnung der Söhne, deren Väter aufeinander schießen mussten, berichteten die russischen Zeitungen mit großer Anteilnahme. Oleg wurde zitiert mit den Worten: „Lieber ein schlechter Frieden als ein guter Krieg“ Oleg und ich wurden Freunde.

Im Juni 2007 reisten meine Frau und ich nochmals nach Welikije Luki. Galina und ihr Mann Juri hatten zum Empfang ein Grillfest in einem Wäldchen organisiert. Der Wald lag an einem See. Am Seeufer konnte man verfallene Schützengräben und Unterstände aus der Kriegszeit erkennen. Es war einer jener Tage, an denen die Sonne erst gegen Mitternacht untergeht. Zusammen mit Juri war ich schwimmen und fischen. Der Ort war wie verzaubert, fast mystisch schön und hatte einst doch unvorstellbares Grauen gesehen. Mit einem Toast auf unsere Freundschaft haben wir den Abend beendet.

Am nächsten Tag besuchten wir Lobok, ein ehemaliges Dörfchen an einem See. Hier wurde die Einheit meines Vaters im Dezember 1943 komplett vernichtet. Es gibt kein einziges Haus mehr. Ein Massengrab mit dem Mahnmal für ca. 2000 russische Gefallene erinnert an die Geschehnisse. In diesem Grab wurden auch alle deutschen Gefallenen, also auch die sterblichen Überreste meines Vaters  beerdigt, jedoch namenlos. Da liegen sie nun, die ehemaligen Feinde im Tode vereint.

An dem Grabmal habe ich gebetet und mir dabei vorgestellt, dass mein Papa auf einer Wolke sitzt und sich darüber freut, dass sein Sohn ihn gesucht und gefunden hat und ihm liebevollen Respekt erzeugt.Oleg und Wera, Galina und Juri sind für uns enge Freunde und werden es immer bleiben. 

Und nun stehe ich vor Ihnen, am entgegen gesetzten Ende der Welt, und erzähle hier die Geschichte meiner Suche nach meinen Wurzeln. Und wieder stelle ich mir vor, dass mein Vater voller Stolz vom Himmel auf mich herabblickt und sein Glück gar nicht fassen kann, dass sein Schicksal nun auch in Kolumbien bekannt ist.
Auch das ist nur möglich durch unsere Neugier auf fremde Sprachen, fremde Kulturen und den großen Glücksumstand, dadurch unsere Freunde Luis Benítez Perez und Leonardo Rodriguez Ortiz kennen gelernt zu haben. Ihre lebendigen Schilderungen über die Kultur und Lebensart ihrer Heimat weckten in uns den Wunsch Kolumbien zu entdecken. Wir danken Euch (Ihnen) dafür!

Und ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.