Befreiung von der Ungewissheit, 2. Januar 1975

Dreißig Jahre dauerte es, bis Sophie Hoffmeier die keinerlei Zweifel mehr zulassende Nachricht erhielt, nach der ihr Mann nicht zurückkehren würde. Anfang Januar 1975 bekam sie Brief und Gutachten des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes, die ihr wenig Hoffnung ließen:


München, 2. Januar 1975

Sehr verehrte Frau Hoffmeier, im Rahmen unserer Nachforschungen wurden alle uns zugegangenen Angaben und Informationen über das Schicksal Ihres Angehörigen überprüft. Über die individuellen Ermittlungen hinaus haben wir besonders die Möglichkeit untersucht, ob der Verschollene in Gefangenschaft geraten sein könnte. Dabei ist den Kampfhandlungen, bei denen Ihr Angehöriger und weitere Soldaten der gleichen militärischen Einheit vermisst wurden, genau nachgegangen worden. Das Ergebnis ist in einem Gutachten festgehalten, das Ihnen Aufschluss über unsere Nachforschungen und Einblick in die für den Verschollenen entscheidend gewordene Phase des Kriegsgeschehens gibt. Wird am Ende der Darstellung auch der Schluss gezogen, dass Ihr Angehöriger zu den Opfern des II. Weltkrieges gezählt werden muss, hoffen wir dennoch, Sie durch die Bekanntgabe des Nachforschungsergebnisses von jahrelang ertragener Ungewissheit zu befreien. (…).

Gutachten über das Schicksal des Verschollenen Heinrich Hoffmeier, geb. 20.1.10, Truppenteil: Grenadier-Regiment 365 der  211. Infanterie-Division Vermisst seit dem 16. Dezember 1943 DRK-Verschollenen-Bildliste Band BR, Seite 372. Ausgangspunkt für die Nachforschungen waren die dem Suchantrag entnommenen Angaben, die in die Verschollenen-Bildlisten aufgenommen wurden. Damit sind alle erreichbaren Heimkehrer aus Krieg und Gefangenschaft befragt worden, von denen angenommen werden konnte, dass sie mit dem Verschollenen zuletzt zusammen gewesen sind. Diese Befragungen fanden sowohl in der Bundesrepublik als auch in Österreich und anderen Nachbarländern Deutschlands statt.


Ferner sind von anderen Stellen, die Unterlagen über die Verluste im 2. Weltkrieg besitzen, Informationen eingeholt worden. In erster Linie handelt es sich hierbei um das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in Genf, die Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht in Berlin und die Heimatortskarteien.


Über diese individuellen Ermittlungen hinaus wurde die Frage geprüft, ob der Verschollene in Gefangenschaft geraten sein konnte. Dabei wurden die Kampfhandlungen, an denen er zuletzt teilgenommen hat, rekonstruiert. (…).
Das Ergebnis aller Nachforschungen führte zu dem Schluss, dass Heinrich Hoffmeier mit hoher Wahrscheinlichkeit am 16. Dezember 1943 bei den Kämpfen im Raum Newel – Witebsk gefallen ist.


Zur Begründung wird ausgeführt: Im Herbst 1943 stand die deutsche 2. Panzer-Armee im Mittelabschnitt der Ostfront in schweren Abwehrkämpfen um Witebsk. Über Newel, das die sowjetischen Truppen bereits am 7. Oktober eingenommen hatten, war der Gegner im November weiter nach Südwesten bis etwa 20 Kilometer westlich von Gorodok vorgedrungen, seine Angriffe entlang der Rollbahn nach Süden konnten jedoch bei Lobok am Jeserischtsche-See, 30 km nördlich von Gorodok, bis Anfang Dezember aufgehalten werden. Hier verteidigte die 21. Infanterie-Division einen breiten Abschnitt, der sich vom Ordowo-See über Kaiki bis Olschaniki erstreckte. Dabei musste zeitweise eine Kampfgruppe zur Verstärkung der benachbarten 129. Infanterie-Division abgegeben werden.


Am 13. Dezember traten frische Verbände der Roten Armee zum Angriff an und drangen nach schwerem Artilleriefeuer in die deutschen Stellungen ein. Nach verlustreichen Kämpfen bei Surmino und Rudnja wichen die Kompanien langsam auf rückwärtige Stützpunkte zurück. Als kurz darauf sowjetische Panzer von Südwesten in Richtung Dwornja und Wyrowlja vorstießen und sich am 16. des Monats mit ihren von Norden angreifenden Truppen vereinigten, schlugen sich Teile der eingeschlossenen Bataillone entlang der Nachschubstraße über Bessenjata zu Auffangstellungen der Division bei Byschsischa durch. Dabei wurde besonders das Grenadier-Regiment 365 in verlustreiche Kämpfe verwickelt. Der sofort nachdrängende Gegner konnte nicht aufgehalten werden. Die Division wich nachts weiter nach Süden zum Koscho-See und bis Gorodok zurück. Am 23. Dezember drangen sowjetische Sturmtruppen in die Stadt ein, die nach schweren Kämpfen am nächsten Tag verloren ging. Wenige Kilometer weiter ostwärts von Witebsk besetzten Teile der Division eine vorbereitete Verteidigungslinie zwischen Pologi und Tereschki, die sie bis zum Eintreffen von Verstärkungen am Monatsende halten konnten.


Seit diesen Kämpfen werden zahlreiche Soldaten der 211. Infanterie-Division, darunter auch der Verschollene, vermisst. Für einige von ihnen liegt die Aussage eines Heimkehrers vor, dass sie gefallen sind. Viele aber haben in dem unübersichtlichen, hügeligen Gelände den Tod gefunden, ohne dass es von überlebenden Kameraden bemerkt werden konnte. Das Feuer von Artillerie und Panzern erreichte auch Sanitätsfahrzeuge und Verbandplätze.
Es gibt keinen Hinweis dafür, dass der Verschollene in Gefangenschaft geriet. Er wurde auch später in keinem Kriegsgefangenenlager gesehen. Alle Feststellungen zwingen zu der Schlussfolgerung, dass er bei diesen Kämpfen gefallen ist.
München, den 28. November 1974, Max Heinrich, Direktor

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