Vom Vater nur ein paar Hände voll Erde
Günter und Gerhard Hofmeier spüren in Russland dem im Krieg Gefallenen nach
Lübbecke / Espelkamp. Ende 1943 steht ein Pfarrer vor der Tür von Sophie Hoffmeier in Fiestel. Die Frau ahnt, ja weiß, welche bittere Nachricht der Geistliche überbringen wird. Wenige Tage zuvor hatte die junge Mutter den Brief mit der Feldpostnummer 29531 E aus Russland zurück erhalten. Er war bei ihren Mann nicht mehr angekommen. „Empfänger vermisst" steht auf dem Kuvert.
Mehr als 60 Jahre danach haben sich die Söhne von Sophie und Heinrich Hoffmeier auf die Spuren ihres gefallenen Vaters begeben. Es wurde eine Reise in Vergangenheit und Gegenwart.2002 fanden die beiden Männer in dem Nachlass der Mutter über 40 Briefe, die Gerhard Hoffmeier zwischen 1942 und 1943 aus Russland an seine Halbschwester geschrieben hatte. Anhand dieser Dokumente schilderte der Journalist Volker Koop („Ich habe keine Hoffnung mehr") das Schicksal des jungen Soldaten in Russland.
„Bitte meiner Sophie nichts sagen“
Zum 60. Jahrestag des Kriegsendes wurde das Buch im Russischen Haus in der Berliner Friedrichstraße von einem Gesandten der Botschaft und dem früheren Bundesverteidigungsminister Prof. Rupert Scholz vorgestellt. Heinrich Hoffmeier war Anfang 1940 einberufen worden. Ab 1942 ist er an der Ostfront. Regelmäßig schreibt er seiner Halbschwester, schildert nach anfänglicher Siegeszuversicht immer häufiger die Gräuel des Krieges, den schwindenden Glauben an ein baldiges Ende und bittet regelmäßig: „Bitte meiner Sophie davon nichts sagen". Die junge Mutter - 1941 bringt sie ihren ersten Sohn zur Welt - hofft bis zuletzt auf eine baldige Rückkehr ihres Mannes.
Die Kinder erfahren von ihr nur, dass der Vater „in Russland" ist. Seinen Tod wird sie bis zu ihrem Ableben vor wenigen Jahren nie verwinden. Er 1975 meldete der DRK-Suchdienst, dass Gerhard Hoffmeier am 10. Dezember 1943 in Lobok/Weißrussland gefallen ist. Kennen gelernt haben die Kinder, inzwischen 63 und 65 Jahre alt, ihren Vater nie. „Er war für uns ein unbekanntes Wesen. Und was man nicht weiß, vermisst man auch nicht". sagt Gerhard Hofmeier, der heute in der Nähe von Berlin ein Mietwäsche-Unternehmen betreibt. „Erst durch die Briefe habe ich etwas erfahren über meinen Vater", ergänzt Bruder Gunter, der in Lübbecke lebt. Dabei sollte es nicht bleiben.
Im Sommer 2005 entschlossen sich die Söhne, nach Spuren ihres Vaters zu suchen. Im September brechen sie aut. Bis nach Smolensk geht die Flugreise. Dort hatte der Vater gekämpft. Und dort nehmen die Kinder ein paar Hände voll Erde mit nach Espelkamp. Für das Grab ihrer Mutter, die bis zuletzt auf ihren Mann gewartet hatte und bis zu ihrem Tod nie über den Verlust, die Trauer sprechen mochte.
Bei der Suche nach einer Dolmetscherin lernen Hofmeiers in Smolensk Galina Proletowa kennen. Zu ihr entwickelt sich ein intensiver Kontakt, der neun Monate später zu einer bewegenden Begegnung führt. Wieder ist Gerhard Hofmeier in Russland, in Welikije Luki, 500 Kilometer entfernt von Moskau, wo eine der heftigsten Schlachten tobte. In der Nähe der Stadt, einem der „blutgetränktesten Plätze der Welt" (Gerhard Hofmeier), ist auch Heinrich Hoffmeier gefallen, eine Woche vor Heiligabend 1943, drei Monate nach seinem letzten Heimaturlaub.
Die junge Russin hat in den deutschen Fremdsprachenclub von Welikije Luki gebeten. Ein paar Dutzend Menschen sind in die Stadtbibliothek gekommen. Auf den Spuren des Krieges im Namen des Friedens" steht auf den deutsch-russischen Einladungen. „Es war eine versöhnliche Atmosphäre, ein herzlicher Umgang, obwohl alle irgendwie Opfer des Krieges waren. Aber es gab keinen Hass, keine Feindschaft", sagt Gerhard Hoffmeier.
Er steht bald auch auf dem Schlachtfeld, das ungezählten das Deutschen und Russen zum Grab wurde. Da kommt ihm der Vater ein Stück näher: „Aus dem Phantom ist ein Mensch geworden". Es sind bedrückende, tief emotionale Momente. Und auch ein Ereignis für die 110.000 Einwohner zählende Stadt. Denn nur wenige Deutsche sind nach dem Krieg in den Ort gekommen.
Im Club tritt Hofmeier - und in seiner Begleitung ist sein Freund Prof. Rupert Scholz - Oleg Bondaränko-Snetien gegenüber. Die Dolmetscherin Proletowa hatte ihn zu der Versammlung gebeten. Er sieht die Begegnung erst skeptisch. Aber kommt dann doch. „Man kann nur begrüßen, dass die Söhne so lange nach ihrem Vater suchen. Mit diesem Gedanken habe ich zugestimmt."
„Schwacher Friede statt starker Krieg"
Auch der ehemalige Oberst war auf Spurensuche. Nach 28 Jahren hatte der mittlerweile 65-Jährige das Grab seines Vaters schließlich in Lettland ausfindig gemacht. Beide gleichaltrigen Männer reichen sich die Hand. „Besser ein schwacher Frieden, als ein starker Krieg", sagt Oleg später. Die Zeitungen berichten in großen Beiträgen über das denkwürdige Aufeinandertreffen. Allein die „Prawda" widmet dem Ereignis zwei Seiten. Mit einem großen Foto des freundlichen Händedrucks von Oleg Bandaränko-Snetien und Gerhard Hofmeier - Söhne im Krieg getöteter Soldaten, die einst in Namen feindlicher Mächte gegeneinander gekämpft haben.
VON REINHARD GÜNNEWIG
NW Lübbecke (Ausgabe Nr. 245 / 21. Okt. 2006)